Danke, ich kann selbst das Licht anmachen. Ein Satz, den man zugegebenermaßen eher von einer 3-Jährigen erwarten würde und nicht zwingend von einer Frau Ende 20. Es ist aber ein Satz, der mir das letzte halbe Jahr unfassbar viel Freude gebracht hat.
Dinge selbst zu tun, ist für mich keine Selbstverständlichkeit. Ganz viel kann ich einfach nicht, weil meinem Körper die Kraft dafür fehlt oder auch weil mein Umfeld nicht barrierefrei genug ist. Umso schöner ist es, wenn ich eine Möglichkeit finde, irgendetwas selbst zu tun.
Für einige mag das banal wirken. Licht anmachen, ein Taschentuch holen, Händewaschen, das sind Selbstverständlichkeiten. Dinge, die man tun muss. Nichts, was man tun darf.
Für mich sind sie die Welt. Kleine Bastionen meiner Eigenständigkeit. Sie sind der ultimative Ausdruck meiner Freiheit.
Das ist auch schon wieder so ein großes Wort. Aber es ist auch eine große, wichtige Angelegenheit. Stellt euch vor, ihr würdet jede einzelne Bewegung formulieren und jedes Bedürfnis einem anderen Menschen möglichst höflich mitteilen müssen.
Ihr habt Durst? „Bitte, gib mir etwas zu trinken.“ Die Haare fallen doof ins Gesicht? „Streich mir bitte die Haare aus dem Gesicht.“ Doch mal für kleine Einhörner müssen? „Kann ich bitte auf die Toilette gehen?“
Bitte, bitte, bitte … Ihr seht das Prinzip. Natürlich bekomme ich diese Hilfen. Genau dafür sind meine Assistent*Innen da. Niemand kommt wirklich auf die Idee, mir eine solche Bitte zu verwehren. Es ist ja auch streng genommen keine.
Aber jetzt stellt euch vor, ihr würdet all eure Bedürfnisse eben nicht einer Person darlegen, die ihr euch ausgesucht habt und die ihr bezahlt. Einer Person, die ihr nicht kennt und die gleichzeitig noch 10 andere von euch betreuen muss. Eine Person, die so auf dem Zahnfleisch geht, dass sie von euch genervt ist. Wie ist es? Würdet ihr euch noch die Nase kratzen lassen? Wie wichtig wäre ein bisschen Lust auf Schokolade im Bett oder dass eure Hose unangenehm zwickt?
Man beschränkt sich. Ganz automatisch. Weil wir Menschen verhältnismäßig rücksichtsvolle Wesen sind und weil wir gelernt haben, dass Bitten etwas Schlechtes sind.
Und da kommt jetzt das Licht ins Spiel. Wenn ich die Aufgabe, mir abends Licht anzumachen an eine künstliche Intelligenz geben kann, dann ist das für mich ein kleiner Triumph. Ein Bitte weniger. Wenn ich meiner Assistentin sagen kann, dass ich möchte, dass etwas auf eine bestimmte Weise auf meinem Schreibtisch steht, und sie es tut, weil das ihre Aufgabe ist, dann ist das genauso ein Sieg. Eine kleine Bestätigung, dass meine Bedürfnisse, Wünsche und kleinen Kauzigkeiten wichtig und richtig sind.
Ich zahle dafür einen Preis. Um diese für andere so selbstverständliche Freiheit zu bekommen, muss ich Anträge über Anträge ausfüllen, meine Finanzen offenlegen, mir wahnsinnig private Fragen gefallen lassen. Ich muss Dienste planen, Löhne überweisen, Krankenkassen zufriedenstellen. Ich mache die Arbeit einer Verwaltungsangestellten, der Personalabteilung und der Geschäftsführung in meiner Freizeit.
Aber ganz ehrlich? Das ist es mir wert. Allein schon bestimmen zu können, wann und wie oft ich dusche, oder was ich jeden Tag wie esse, wäre für mich jede haareraufende Stunde wert.
Dass es aber eben auch heißt, meine Wohnung so gestalten zu können, wie ich das möchte, die Gerüche um mich zu haben, die ich mir wünsche, und bestimmen zu können, in welcher Reihenfolge meine Kleider im Schrank hängen, ist so ein unfassbares Stück Lebensqualität. Ab und an liege ich einfach im Bett, sehe mein Schlafzimmer genau so floral und ordentlich, wie es mich glücklich macht, und knabbere Nüsse, während ich mich wie die Königin der Welt fühle. Ich weiß nicht, ob ihr euch vorstellen könnt, wie freudentaumelnd schön diese Augenblicke sind oder wie mein Herz anschwillt, wenn ich ohne schlechtes Gewissen das Licht anmachen kann, wenn es mir zu dunkel ist.
Mich nicht aus Rücksicht zurückzunehmen, ist eine Angelegenheit gewesen, die ich erst lernen musste, und an der ich ab und an immer noch knabbere. Aber ich habe immer wieder Momente, in denen ich spüre, wie essenziell es ist.
Ich habe die Chance, mich als Person und nicht als Last wahrzunehmen und herauszufinden, was mir wann wie wichtig ist. Dabei kann ich mich noch einmal auf eine ganz andere Weise kennenlernen. Und in Momenten, wie gerade, merke ich, wie dankbar ich dafür bin und mit wie viel Stolz es mich erfüllt, dass ich mich mir selbst mit Hilfe smarter und menschlicher Assistent*Innen so nahekommen kann. Das zeigt mir, dass sich die Mühe lohnt und wie viele Privilegien ich eigentlich genießen darf.
Ich würde mir sehr wünschen, dass gerade die kleinen Wünsche zur Selbstverständlichkeit eines jeden Menschen würden. Dass es eben nicht mehr als Privileg gesehen werden muss, mit einer Behinderung entscheiden zu können, wie das eigene Bett gemacht wird oder wann die richtige Zeit ist, sich die Haare zu frisieren, sondern als natürliches Recht. Einfach, weil es die Summe dieser kleinen Dinge ist, die unser aller Dasein mit dem Leuchten anreichert, das unser Leben doch so einzigartig und schön macht.
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