Nach ungefähr zweieinhalb Jahren selbst aufgelegter Isolation habe ich mich endlich wieder nach draußen gewagt: Über meinen Geburtstag war ich in Hamburg. Und weil das zum einen zauberhaft war und zum anderen so eine Reise eine ganz andere Dimension bekommt, wenn man sie mit einem Rollstuhl unternimmt, möchte ich meine Erlebnisse mit euch teilen.
Los geht es allerdings schon bei der Frage, wie ich von München aus in den hohen Norden komme. Bedauerlicherweise klappt das nämlich nicht so, dass ich einfach ein Ticket kaufe, mich in den Zug setze und dann ein paar Stunden aus dem Fenster schaue. Nein, das wäre ein wenig zu einfach.
Für Menschen, die im Rollstuhl sitzen, gibt es ein ganz eigenes Mobilitätszentrum der Deutschen Bahn. Einen in jeder Hinsicht speziellen Ort in der Servicelandschaft Deutschlands. Wer es geschafft hat, sich durch Wartezeiten von gut und gerne ein paar Stunden zu hangeln, ohne bei dem Mitsprechen der Warteschleifenansage in einen tranceähnlichen Zustand zu fallen, der wird bei einer mehr oder minder verständnisvollen Servicekraft durchkommen. Man betet die Daten vor, die man benötigt, und drückt dann fest alle verfügbaren Daumen, Zehen, Pfoten und Hufe.
So einfach ist es dann nämlich immer noch nicht. Es gibt zu wenige Rollstuhlplätze in den Zügen und noch weniger Personal, das einem beim Einstieg helfen kann. Die Rampen oder Bühnen dürfen aber aus versicherungstechnischen Gründen von niemand anderem betätigt werden – auch wenn zumindest ich darin sehr viel mehr Erfahrung habe als die Mitarbeiter*Innen, denen ich bisher begegnet bin. Umstiege müssen um jeden Preis vermieden werden, weil kaputte Aufzüge eine Fahrt ins Wasser fallen lassen können und stundenlange Umwege quer durchs Land bedeuten. Und natürlich kann jemand wie ich auch nur zu den Servicezeiten fahren …
Alles in allem eine sehr unangenehme – und vor allem teure (weil Sparpreise oder Angebote nach derlei Wartezeiten meist verfallen sind oder die Vorgaben nicht erfüllen) Geschichte. Und wie in diesem Fall kommt es auch oft genug vor, dass ich eben einfach nicht fahren kann.
Gut, also anders. Ich bin ja flexibel und habe (Gott sei Dank) eine fantastische Familie, die mich spontan mit dem Auto nach Hamburg fährt und gleichzeitig auch noch meine Pflege für die Zeit übernimmt, weil es so spontan mit der Assistenz schwierig gewesen wäre. Insofern gab es also einen Roadtrip.
Wäre ich mit Assistenz allein gewesen, hätte ich bei wunderbaren Freundinnen mit ihrem kleinen Sohn, dessen Patentante ich sein darf, übernachten können, zu viert wäre das allerdings dann doch sehr, sehr kuschelig gewesen. Wir waren also einmal mehr flexibel und haben ein Hotel gebucht.
Ich würde super gerne sagen, dass es „einfach“ buchen gewesen wäre, aber wer einen Elektrorollstuhl mitbringt, kann so ein Zimmer nicht einfach kurz online über eine der einschlägigen Websites buchen. Man schreibt Mails, ruft an und klärt spannende Fragen wie:
„Wir haben barrierefreie Zimmer, aber sie müssten drei Stufen bis zum Lift gehen können, das ginge doch, oder?“
Das Spiel spielt man dann über mehrere Tage. Nun gut, ich kenn es ja, also beschwere ich mich darüber auch gar nicht. Immerhin kosten barrierefreie Zimmer inzwischen oft nicht mehr als die nicht barrierefreien.
Besonders cool ist es dann nur nicht, wenn man nach achteinhalb Stunden Nachtfahrt und einem Besuch auf dem Hamburger Fischmarkt im toll gelegenen Hotel ankommt und die nächste Überraschung sieht: Trotz ewigem Mailverkehr war es offenbar nicht wichtig zu erwähnen, dass das Zimmer nur barrierefrei ist, weil der Platz mit einem 1,40 m breiten Doppelbett geschaffen wurde, trotzdem kein Platz ist, sich mit Rollstuhl zu drehen, die Toilette so niedrig wie jede Durchschnittstoilette ist und als Duschstuhl einfach der nächstbeste Hocker zweckentfremdet wurde.
Verständnis dafür, dass das nur mittelgroße Freude in uns auslöste, war auch eher mit der Lupe zu suchen. – Hauptsache, ich habe zwei Tage lang gemailt und telefoniert und mich artig angemeldet.
Aber gut, Zurückfahren war eher keine Option und meine Familie ist schon immer gewohnt, aus Staub Sterne zu machen.
Wir haben die Nächte also zusammen gekuschelt und den Rest mit vielen körperlichen Strapazen auf allen Seiten schon irgendwie hinbekommen. Erholsamer Urlaub wäre anders gewesen, aber … wer will sich schon erholen?
Das klingt jetzt, als wäre es der schlimmste Urlaub überhaupt gewesen, aber das stimmt nicht. Tatsächlich ist all das nichts besonders Ungewöhnliches. Und ich kann nur sagen: Hamburg ist eine Stadt, die meinen Namen ruft.
Angefangen mit den Franzbrötchen über absolut bezaubernde Menschen dort, die ich sehr, sehr lieb habe, und der absolut atemberaubenden Architektur der Speicherstadt hat die Hansestadt allerdings einen für mich riesigen Vorteil: Sie ist sehr um Barrierefreiheit bemüht.
Es gibt beinahe überall Rampen und die Straßenübergänge sind oft einfach flach. Sogar kleine Geschäfte stellen, wenn sie aufmachen, kleine Rampen aus Metall an ihre Schwellen. Es gibt saubere und nicht stinkende Rollstuhltoiletten, wo man sie braucht, und insgesamt kümmern sich dort viele Menschen darum, dass jemand im Rollstuhl einfach teilhaben kann. Dort findet man eine Selbstverständlichkeit, die ich bisher sonst fast nur in Schweden erlebt habe.
Natürlich ist auch in Hamburg nicht alles goldglänzend, aber ich merke, dass dort an vielen Orten in der Stadt Menschen im Rollstuhl als Selbstverständlichkeit und als genauso berechtigte Besucher*Innen wie jeder andere Mensch betrachtet werden. Das tut gut. Es gibt mir ein Gefühl von Freiheit und Unbeschwertheit. Mir hilft eine solche Umgebung, mir selbst klarzumachen, dass ich einen Platz und das Recht, diesen einzunehmen in unserer Gesellschaft habe.
Ich weiß, dass das super deprimiert klingt, aber leider ist es für mich nicht so leicht, das zu verinnerlichen, wenn ich im Alltag so oft nicht von Busfahrer*Innen mitgenommen werde, Lokalitäten nicht besuchen kann und Menschen mir beim Einkaufen zuraunzen, dass ich im Laden nur Platz wegnehmen würde. Oder auch, wenn ich jedes Mal vor einem Geschäft bitte sagen muss, bis man unter Stöhnen eine Rampe rausträgt.
Klar sind das Dinge, die nichts über meinen Wert in einer Gesellschaft aussagen. Und es sind Momente, die ich sicher wegstecken könnte, wenn sie nicht ständig passieren würden. Aber leider sind sie meine Realität. Und alleine, wenn ihr euch anseht, was für ein Aufwand ein Städtetrip ist, ehe ich ihn überhaupt starten kann, versteht ihr vielleicht, dass ich oft nicht das Gefühl habe, erwünscht zu sein.
Umso wunderbarer ist es für mich, wenn ich in einer Stadt atmen kann. Wenn ich eine Straße ohne Schmerzen überqueren kann, mir unterwegs keinen Knoten in die Blase machen muss und ich ohne um Erlaubnis zu bitten, mir in der Bäckerei selbst ein Franzbrötchen aussuchen kann. Wie toll es ist, wenn weniger Leute ihre Kinder von mir wegziehen oder mich anstarren. Und ganz banal, wenn ich ganz einfach Freundinnen in ihrer Wohnung besuchen kann, weil diese schlicht und ergreifend rollstuhlgerecht gebaut ist und ich dort mit einer Liebe und Selbstverständlichkeit empfangen werde, die ich nur von meiner Familie kenne.
Diese Reise hat mir also trotz all des Ärgers und allen Strapazen Kraft gegeben. Mich aufatmen lassen und mir wieder so viel geschenkt, dass ich den nächsten Wochen, in denen sich in meinem Privatleben viel ändern wird, positiv entgegensehen kann. Sie war wunderbar und lässt mich strahlen, auch wenn ich immer noch todmüde und erschöpft bin.
Aber ich hätte sie nicht machen können, wenn ich nicht unfassbar großartige Hilfe gehabt hätte, die mit mir in einem zu kleinen Bett geschlafen hat und mich durch ein unpassendes Zimmer gezerrt hat. Die Ewigkeiten auf der Autobahn verbracht hat, mir ihre Zeit und ihre Kraft geschenkt hat – und trotzdem so gut gelaunt war.
Mama, Papa und Leon, ich danke euch für diese Tage mit euch.
Ich danke euch dafür, dass ihr mir etwas ermöglicht habt, was eigentlich selbstverständlich sein sollte und das für so viele Menschen zu Recht selbstverständlich ist.
Ich freue mich darauf, diese Reise eines Tages mit euch zu wiederholen – und zwar so, dass wir nur die Zeit genießen können und uns nicht mit fehlender Barrierefreiheit herumschlagen müssen.
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